Abendessen entlang des Balatons

Reisekultur beginnt schon bei der Zugnummer. “D 1204” klingt schon mal weltmännischer und seriöser als “RB 40” oder “S 2”. Wenn der Zug dann noch einen klangvollen Namen trägt, wird es direkt nochmal ein Stück spannender.

Ich denke da an die Zeit, in der die CityNightLine- und EuroNight-Züge grundsätzlich Namen trugen, die entweder Rückschlüsse auf das Reiseziel zuließen (EN 490 “Hans Albers” Wien West – Hamburg-Altona, EN 1136 “Toscana Mare” Wien Matzleinsdorf – Livorno Centrale) oder nach Sternbildern und anderen Phänomenen des nächtlichen Himmels benannt waren (CNL 472 “Aurora” Basel – Kopenhagen, CNL 478 “Komet” Brig – Hamburg-Altona). Alleine Nummer und Name im Fahrplan zu lesen, gibt Anlass zum Träumen und Raum für Fernweh! Bei “Aurora” denke ich an den hohen Norden und bei “Tosca” spüre ich schon den Sand zwischen den Zehen.

Der Zug, um den es sich hier dreht, trägt – ganz dieser jahrzehntealten Systematik folgend – den Namen “Adria” und fährt von Budapest-Keleti in Ungarn, entlang des Balatons, durchquert das kroatische Hinterland, um seinen Endbahnhof Split an der kroatischen Adriaküste, nach etwa 14 Stunden Fahrzeit zu erreichen. Durch diese zwei Länder geht es, freilich ohne nächtliche Passkontrolle, im Sitz-, Liege- und Schlafwagen, während alle Reisenden im Speisewagen zusammenkommen. Doch dazu später mehr.

In Budapest stehen der IC 473 “Ister” nach Bukarest und der D 1204 “Adria” am selben Bahnsteig.

Im Bahnhof Budapest-Keleti beginnen und enden verschiedenste Tag- und Nachtzüge aus Mittel- und Osteuropa. Bevor der “Adria” pünktlich, etwa eine halbe Stunde vor Abfahrt, bereitgestellt wird, lohnt sich ein Spaziergang durch die weitläufigen Bahnhofsanlagen mit Blick auf die unzähligen Lok- und Wagentypen. Mit einem Schlafwagenticket hat man im übrigen Zutritt zur MÁV-Lounge, in der es neben leider sehr fleischlastigen Snacks auch kalte Getränke gibt, die seriös in der Glasflasche (!) am Platz serviert werden.

“Niemand will mit dem Nachtzug fahren.”

“Der Nachtzug ist ein Nischenprodukt für Freaks und Spinner. Wer was auf sich hält, fliegt.” Das jedenfalls hört man gerne mal sinngemäß von Gegnern des Schienenverkehrs oder man bekommt den Eindruck, dass Führungsetagen gewisser Staatsbahnen so denken.

Wer dann selbst mal einen Nachtzug betritt, gerade einen solchen, wie den “Adria”, der eine klar touristische Route bedient, dem wird schnell klar, dass das so nicht stimmen kann. Denn neben ein paar Freaks und Spinnern wie uns, tummeln sich im und am Zug Familien mit Kindern, die mit großen Koffern beladen ihr Nachtquartier im privaten Liegewagenabteil beziehen, Paare verschiedensten Alters, die durch die Servicemitarbeiter zu ihrem Abteil geleitet werden und junge Interrailistinnen, die ganz offensichtlich nicht zur “Fraktion Eisenbahnnerd” gehören, die mit riesigen Rucksäcken beladen preisbewusst in Richtung der Sitzwagen marschieren.

Der Speisewagen aus DDR-Produktion erweist auch im Jahr 2025 noch gute Dienste.

Tischdecken. Porzellan. Glas. Kultur.

Unser Gepäck haben wir in unserem Schlafwagenabteil abgelegt und der Servicemitarbeiter hat uns eingecheckt, also nichts wie los in den Speisewagen, bevor es dort so richtig voll wird! Noch vor Abfahrt füllt sich der angenehm klimatisierte Speiseraum und es riecht schon lecker nach frisch gekochtem Essen. Wir bestellen erst einmal ein kühles Bier, das vor unseren Augen frisch gezapft wird.

Ich schicke einem befreundeten Eisenbahner ein Foto. Er gibt schamlos zu, wie neidisch er, der leider krankheitsbedingt zu Hause sitzt, auf uns ist und trifft den Nagel in der nächsten Nachricht auf den Kopf. “Tischdecken. Porzellan. Glas. Kultur. Deutschland: Pappbecher, keine Tischdecken, nix zu essen.”

Ein Teil der Tische war besonders eingedeckt, denn es war die erste Fahrt und hier speisten die Geschäftsführer der MÁV.

In den Scheiben des Speisewagens spiegelt sich die Fassade des Bahnhofs Budapest-Keleti.

Der Zugführer (ab der kroatischen Grenze noch in der Funktion des Reiseleiters) vor der Abfahrt in Budapest-Keleti.

Die Kaffeemaschine im Dienstabteil

Kurz nach der Abfahrt wird es zunehmend wärmer im Speisewagen. Verdächtigerweise schalten sich auch nach und nach die Deckenlampen aus und während ich das Fenster öffne, bildet sich eine Menschentraube um den Schaltschrank.

Es ist scheinbar nichts zu machen. Doch die Speisewagencrew lässt sich so schnell nicht aus dem Konzept bringen. Kurzerhand wird auf reinen Gasbetrieb umgestellt und stromhungrige Geräte, wie ein Kühlschrank und die Kaffeemaschine, in den angrenzenden Schlafwagen gewuppt. Der gemeine Reisende bekommt nichts vom Ausfall mit und speist nun bei offenem Fenster.

Wir bestellen noch ein Bier, weil man auf einem Bein ja nicht stehen kann, und ein veganes Tofu-Gemüse-Curry mit Kuskus. Es schmeckt ausgezeichnet!

Liebe MÁV, nehmt dieses leckere Gericht bitte auch in die Speisekarte in den regulären Zügen auf!

Wie es sich für einen touristischen Nachtzug gehört, sind die Fahrzeiten entspannt – Raucherpause in Siófok.

Weiter in Richtung Kroatien …

Speisewagen laden zum Zusammenkommen und zum miteinander reden ein. Was früher Standard war, ist heute eine Besonderheit, die westlich von Deutschland kaum noch anzutreffen ist. Wer seriös essen will im Zug, der muss Richtung Osten fahren.

Wir fahren entlang des Balatons, der Speisewagen ist voll und der Ausblick phänomenal.

Am Nachbartisch sitzen zwei Kollegen der MÁV, die den “Adria” federführend organisieren. Wir kommen ins Gespräch über ihren Zug, den Nachtverkehr und die Eisenbahn allgemein. Einer der beiden erklärt, dass der Speisewagen DAS Argument für ihren Zug ist. Das Ticket wird durch den Einsatz des Speisewagens nicht mal 10 Euro teurer, dafür ist die Aufenthaltsqualität und das Reiseerlebnis um ein Vielfaches höher, sagt einer der beiden. Recht hat er. Leider haben das viele Bahnverwaltungen nicht begriffen.

Nach einem Absacker mit den Kollegen, haben wir die nötige Bettschwere und gehen schlafen. Gute Nacht!

Morgensonne überm kroatischen Hinterland.

Guten Morgen, Kroatien!

Die Nacht war gut, im bequemen Schlafwagen schläft es sich ausgezeichnet. Also dann, wenn ich dann mal in den Tiefschlaf gekommen bin. Solange das noch nicht der Fall ist, werde ich bei jeder Bremsung wach – Berufskrankheit!

Es ist circa 7:30 Uhr und ich beschließe, aufzustehen und die Landschaft zu genießen, während meine Begleitung es bevorzugt, weiter zu schlafen.

Noch ist nicht viel los, die Zeit nutzen die Kollegen und genießen die Aussicht.

Im Speisewagen ist es noch relativ ruhig, doch die ersten Gäste aus den Schlaf- und Liegewagen kommen, um frisch gemachtes Rührei und leckere Sandwiches zu essen, dazu gibt es Kaffee oder Saft. Der Kaffee kommt, wie weiter oben erwähnt, aus dem Schlafwagen nebenan.

Goldenes Morgenlicht am offenen Fenster … ein Genuss!

Sie leben auf, für und mit ihren Wagen.

Etwas, das ich als deutscher Eisenbahner eher nicht kenne, sind dedizierte Ruheabteile für das Personal in Schlaf- und Liegewagen.

Unmittelbar neben dem Dienstabteil, also dem Arbeitsplatz der Schlafwagenschaffner mit Schreibtisch, Kaffeemaschine und Kühlschrank, gibt es ein Schlaf- und Ruheabteil mit zwei Betten, in das sich der Mitarbeiter nachts oder in Ruhepausen zurückziehen kann. In deutschen Wagen gibt es dagegen eine Pritsche, auf der man IM Dienstabteil schlafen kann – also zwischen Frühstücksboxen und Kaffeekannen.

Betrachtet man die zurückgelegten Strecken und auch die Arbeitsweise der osteuropäischen Kollegen, ist das auch mehr als verständlich, nötig und sinnvoll. Denn für sie ist der Nachtzug oft nicht nur ein Job. Sie leben auf, für und mit ihren Wagen. Sie hegen und pflegen sie. Sie sind stundenlang unterwegs, ziehen teils für Tage ein. Noch bevor die Reisenden wach werden, putzen sie die Klos, halten ihren Wagen sauber und in Schuss. In den Wenden am Zielort, gehen sie vielleicht mal in die Stadt oder baden am Strand, aber dann kommen sie vor Abfahrt zurück und sorgen dafür, dass alles sauber und bereit ist für die Kundschaft, die sie in ihre Wagen, in ihre gute Stube, einladen.

Wir stehen unter den wachsamen Augen des Zugleiters.

Hin und wieder finden sich taugliche Formsignale.

Unser Zug poltert weiter durchs kroatische Hinterland. Hin und wieder taucht ein Bahnhof auf und gelegentlich fahren wir an Signalen vorbei. Signale, die fast ausschließlich außer Betrieb und durchgekreuzt sind. Einen Streckenblock gibt es hier nicht. Einzig die verbliebenen mechanischen Formsignale, die es stellenweise noch gibt, verrichten emsig ihren Dienst.

Wir fahren hier im Zugleitbetrieb, die Zustimmung zur Abfahrt gibt in der Regel der Zugleiter durch Heben seiner Kelle oder mündlich. Müssen wir halten, zum Beispiel für eine Zugkreuzung, schwingt er, oder ein anderer Mitarbeiter, eine rote Fahne.

Im Jahre 2025, wo ERA und Co von der europaweiten Ausstattung sämtlicher Bahnstrecken mit ETCS träumen, und europaweit standardisierte Befehlsvordrucke eine einheitliche Eisenbahn suggerieren wollen, ist dies ein groteskes Bild. Grotesk, doch es wird den allermeisten Fahrgästen nicht auffallen. Und unsicher fühle ich mich nicht, wenngleich der Faktor Mensch hier unglaublich wichtig ist.

Der Zugleitbetrieb ist in den ost- und südosteuropäischen Ländern ein nicht unübliches Betriebsverfahren und wird seit Jahren praktiziert. Die Geschwindigkeiten sind niedrig und das Fahrtaufkommen überschaubar. Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner auf ihren Bahnhöfen haben ihre Strecke und sicher auch ihren Fahrplan im Blick und ich vertraue ihnen, dass sie ihren Job sicher ausführen.

Wir nähern und pünktlich dem Ziel.

Auf die Minute pünktlich

Unsere Reise im D 1204 “Adria” neigt sich langsam dem Ende und unser Zug kommt pünktlich und polternd kurz vor Split nochmal zum Halten, um den InterCity nach Zagreb zu kreuzen. Erstaunlich, doch die altertümlich wirkende Diesellok scheint über TB 0 zu verfügen und so bleiben die Türen auch bei diesem Halt blockiert.

Nach erfolgter Kreuzung fahren wir weiter, den Berg hinab und vor uns liegt die Adria und unser Ziel Split. Auf die Minute pünktlich fahren wir ein im Bahnhof Split. Split markiert das Ende der kroatischen Eisenbahnwelt, denn hier endet das einzige Ausziehgleis des Bahnhofes am Prellbock vorm Strand.

Ankunft am Ende der Eisenbahnwelt.

Wir packen also unsere Sachen und gehen raus aus dem angenehm kühlen Schlafwagen, in die schon am Morgen sengende Hitze des kroatischen Sommers. Der Beton des Bahnsteigs und die Schottersteine des Gleisbetts geben die Hitze mit doppelter Wucht zurück.

Wir verabschieden uns von unserem Schlafwagenschaffner und wollen ihm Trinkgeld geben, was er vehement ablehnt. Es sei selbstverständlich. Ein Hotel hat er nicht, er bleibt bei seinem Wagen und geht später baden in der Adria. Ob er das schlimm findet? Keineswegs. Denn er ist genau so ein Spinner, wie wir, wie es die meisten sind, die diesen Job lieben. Ein Abenteurer mit Herzblut und Liebe für die Eisenbahn und für Europa, mit Aufopferung und Hingabe, auch nach zehn oder zwanzig Jahren im Dienst.

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Europa unscharf